Wie Geistliche Begleitung eine Hilfe bei der Krisenbewältigung sein kann und zu mehr Lebensfülle und Glaubenstiefe führt
Kennen Sie das Gefühl nicht mehr weiter zu wissen? Im Leben auf der Stelle zu treten? Gott immer ferner zu werden? In einer Krise zu stecken? Mit diesem Gefühl sind Sie nicht allein. „Krisen gehören zum Leben, sie sind Haltepunkte, an denen sich etwas klären möchte“, weiß Bruder Stephan Veith aus Erfahrung. In solchen Zeiten ist es gut, wenn es jemanden gibt, der einfach nur zuhört, Rückmeldung gibt, neue Dimensionen eröffnet.
Ein solches Angebot hat auch die Abtei Münsterschwarzach: Seit vielen Jahren bieten die Benediktiner Geistliche Begleitung an, und Bruder Stephan Veith ist einer von über einem Dutzend erfahrener Begleiter. Sechs Begleitungen hat der 63-Jährige aktuell, entstanden sind sie über das Gästehaus oder Empfehlungen. Meist kommen Menschen aus pastoralen, sozialen oder therapeutischen Berufen, „die einen Resonanzboden wollen“. Aber auch ein Bankkaufmann oder eine Marketingexpertin können das Angebot wahrnehmen. „Was sie alle eint, ist das Bedürfnis, das eigene Leben anzuschauen, in Beziehung zu sich selbst, zu den Mitmenschen, zu ihrem Glauben, zu Gott“, berichtet Bruder Stephan.
„In einem ersten Gespräch schauen wir, ob die Chemie stimmt und ein Vertrauensverhältnis entstehen kann“, so der Benediktiner. Dann folgen alle sechs Wochen etwa einstündige Gespräche –so lange wie der Begleitete das möchte. Auslöser ist meist eine Krise, etwa Veränderungen, Verluste, alte Lebenswunden, Glaubenszweifel. Dass es am Anfang nicht zwangsläufig um Glaubensthemen gehen muss, zeigt das Beispiel eines Mannes, der wegen eines Burnouts an die Abteipforte klopfte. „Der religiöse Hintergrund war anfangs gar kein Thema“, erinnert sich Bruder Stephan, „doch dann kam die Frage nach den inneren Quellen immer mehr zum Tragen.“
Geistliche Begleitung hat für Bruder Stephan und seine Mitbrüder vor allem mit Hören zu tun. „Ich höre hin, was dieser Mensch sagt und wie er es sagt – mit welcher Stimme, welchem Ausdruck.“ Durch aktives Nachfragen tastet er sich vorsichtig an sein Gegenüber heran, versucht ein Gesamtbild zu entfalten, den anderen verstehen zu lernen: „Was ist das für ein Mensch? Was bringt er mit? Welche verborgene Dimension schwingt mit?“ Irgendwann komme dann der Punkt, wo er das Gefühl habe, helfen zu können. Das kann mehr Achtsamkeit im Alltag oder ein ehrlicher Blick auf die eigene Persönlichkeit sein: „Kann ich mich abgrenzen und Nein sagen, wenn es zu viel wird?“ „Wie gehe ich mit meinem Leib um?“ Auch Worte aus der Heiligen Schrift können hilfreich sein, und natürlich die Frage nach der Beziehung zu anderen Menschen. Die sagt „viel über die Beziehung zu Gott aus“, so Bruder Stephan. Eine Grenze werde nur dann erreicht, wenn der Hilfesuchende schwerwiegende psychische Probleme mitbringt. Denn: „Geistliche Begleitung ist kein Ersatz für eine Psychotherapie.“
Auf konkrete Handlungsanweisungen lässt sich Bruder Stephan dagegen nicht ein: „Es gibt keine hundertprozentige Lösung“, sagt er und warnt davor, als Begleiter zu stark einzuwirken und die Grenze zum geistlichen Missbrauch zu überschreiten. „Meine Verantwortung als Begleiter liegt nicht darin, zu gestalten und zu formen, sondern darin, die Verantwortung zurückzugeben. Die Lösung liegt bereits im Menschen selbst. Die Seele weiß. Doch dieses Wissen will der Kopf oft nicht annehmen. In der Begleitung soll der Mensch einen Raum finden, in dem er offen sprechen kann. Der Begleiter hört zu und gibt Resonanz. Er nimmt den Menschen nicht an die Hand, sondern geht ein Stück des Weges mit.“ Letztlich sei es wie in der Emmausgeschichte, in der Jesus die fragenden und trauernden Jünger spiegelt, sich aber nicht festhalten und vereinnahmen lässt. „Über die Fragen, die im Laufe des Gesprächs auftauchen, kommt der Mensch in Bewegung, kann Hindernisse angehen, neue Schritte wagen, seine Gottesbeziehung vertiefen“, versichert Bruder Stephan.
Dass dieser Weg am Anfang eng sein kann, schreibt auch der Hl. Benedikt in seiner Regel. Doch schreite man unbeirrt im Glauben voran, so weite sich das Herz. Die neue Weite kann Bruder Stephan bei manchem schon im Gesicht ablesen. Andere schöpfen neuen Lebensmut wie ein junger Mann, der nach dem Suizid seiner Freundin in die Abtei kam. Im Dunkel seiner Verzweiflung gelangte er irgendwann zur Frage nach Gott, und indem er dieser Frage nachging, hat er „Stück für Stück eine Beziehung aufgebaut und schließlich neues Vertrauen ins Leben gewonnen“.
Anja Legge