Ein rundum nachahmenswertes Kunstprojekt hat die Mädchenrealschule Volkach im vergangenen Jahr auf die Beine gestellt: Begleitet von zwei Lehrkräften der Fächer Religion und Kunst sowie Künstlerpater Meinrad Dufner aus der Abtei Münsterschwarzach haben elf Schülerinnen der zehnten Klasse 30 Kreuze für die verschiedenen Klassenzimmer gestaltet. Dabei erprobten sie nicht nur neue kreative Techniken, sondern waren auch auf Spurensuche im eigenen Glauben und Leben.
Anlass für das Projekt war der Erweiterungsbau für die naturwissenschaftlichen Fächer, der im Oktober 2022 eingeweiht wurde; dabei wurden auch die Räume im Altbau renoviert, gestrichen, mit neuen Vorhängen und Regalen ausgestattet. „Während der Renovierung haben die Schülerinnen uns gefragt: Bekommen wir jetzt auch neue Kreuze?“, erzählt Konrektorin Klara Adams, die in Volkach Deutsch und Katholische Religionslehre unterrichtet. Gemeinsam mit Renate Mink, Fachlehrerin für Textiles Gestalten, Kunst und Werken, griff sie die Frage auf und hakte bei den Mädchen nach. „Die bisherigen Kreuze waren uns einfach zu altmodisch und schwer“, berichten diese. „Da wir diese Kreuze aber täglich beim Morgengebet anschauen, wollen wir uns auch daran freuen und in ihnen wiederfinden.“
Statt einfach moderne Kruzifixe zu bestellen haben Klara Adams und Renate Mink den Gestaltungsauftrag an die Mädchen weitergegeben und ein Projekt angestoßen: Für jedes Klassenzimmer sollte in Eigenarbeit ein passendes Kreuz entstehen. Als kreativ-spirituelle Verstärkung wurde Pater Meinrad Dufner aus der Abtei Münsterschwarzach mit ins Boot geholt. Ab Januar 2022 führte der Künstlerpater die Mädchen behutsam an das Thema heran. „Zunächst einmal wollte ich den Schülerinnen die Scheu und die religiöse Verklemmtheit nehmen“, berichtet Dufner, denn: „Der Gedanke, dass Kreuze etwas ganz Frommes sind, hindert die Kreativität.“. Auch aus diesem Grund habe er ihnen klargemacht, dass sie sich keineswegs an Gesehenes oder hergebrachte Vorgaben halten müssen. Beim Blick in die Vergangenheit war es dann für alle erstaunlich, dass das Kreuz fast 1000 Jahre lang ohne einen leidenden Korpus auskam. „Die ersten Kreuze waren Gemmen-Kreuze aus Edelsteinen und als Siegeszeichen interpretiert“, berichtet Dufner: „und wenn es einen Korpus gab, dann war das ein erhabener Weltenkönig in majestätischer Haltung“. Dass auch das verwendete Material eine Sprache spricht, wurde beim Atelierbesuch in der Abtei deutlich. Der Pater zeigte, wie „aus allerhand Kram“ Neues entstehen kann. „Meinrad hat uns animiert, zu experimentieren, die Gedanken schweifen und der Kreativität Raum zu lassen“, erinnert sich Kunstlehrerein Renate Mink zurück.
„Aus Schrott etwas Neues herzustellen“, habe dem ästhetischen Empfinden der Schülerinnen anfangs widersprochen, schmunzelt Klara Adams. Doch im Tun seien die Vorbehalte abgefallen, sie ließen sich von Pater Meinrads Begeisterung anstecken und brachten von zu Hause PC-Schrott, Holzreste, Schnüre und Stoffe, Plastikteile, Stein- und Holzreste, Metall-Gitter und Glasscheiben mit. Dann hieß es „Mach was draus!“, berichtet Letizia. Manche begannen mit technischen Überlegungen, andere hatten bereits eine Idee im Kopf, wieder andere ließen sich von der unterschiedlichen Wirkung der Materialien leiten.
Über 30 individuelle und sehr aussagestarke Kreuze sind in den darauffolgenden Monaten entstanden – in den unterschiedlichen Größen und Techniken und mit oft tiefschürfenden Aussagen. Klara Adams und Renate Mink haben begleitet, Impulse gegeben und selbst ein großes Kreuz für den Speisesaal gestaltet. Pater Meinrad gab immer wieder Denkanstöße und brachte mit Bibelstellen und Bedeutungshintergründen die theologische Tiefe ins Spiel. Hanna und Felizitas zum Beispiel haben die Naturmaterialien Schiefer und Holz sehr angesprochen: Den dauerhaften Stein und das brennbare Holz empfanden sie als starke Gegensätze, die sich auch im Leben wiederfinden. Barbara hat die drei übereinander liegenden Schichten eines Glasfensters mit unterschiedlichen Farbschichten versehen und so die bunte Vielschichtigkeit von Menschen und Glauben ins Bild gebracht. Letizia und Maria haben einen Regenbogen gefilzt – Zeichen für Neuanfang und die Verbindung von Himmel und Erde. Lena hatte von Beginn an eine Erdkugel im Kopf, ihr Arrangement aus Globus und Kreuz will sagen: „Überall um uns herum ist Gott.“ Bei Lena-Marie quellen bunte Filzblumen hinter einer schwarzen Kreuzsilhouette hervor; sie verdeutlicht damit, dass das Leben stärker ist als alle Dunkelheit. Marie hat mit Fäden ein Kreuz im Kreuz gespannt und Felizitas demonstriert mit Zahnrädern aus einem Uhrwerk, wie jedes Rädchen zur Gemeinschaft beiträgt. Johannas Ring mit einer Kreuz-Silhouette aus gespannten Fäden erzielt eine fesselnde Licht- und Strahlenwirkung und Letizias bunt angemalte Transportklötzchen von Waschmaschinen erzählen von Schutz, Unterwegssein und Diversität.
„Diese eindrucksvollen Ergebnisse zeigen, dass die Mädchen sich sehr intensiv mit dem Kreuz beschäftigt haben, aber eben nicht mit den Formulierungen des Religionsunterrichts, sondern ganz persönlich und im Zeichen des Lebens, des Sieges und einer Kraft, in der wir gehen können“, resümiert Pater Meinrad. Dabei lösen die jungen Kreuze ganz nebenbei das alte Paradox auf, dass das Kreuz zwar Sinnbild für das Christentum ist, der Kern unseres Glaubens aber die Auferstehung und damit das Leben ist. Die Schülerinnen selbst haben beim Gestalten und Sinnieren gemerkt: „Glaube und Gott steckt in allem, man muss nur hinsehen und offen dafür sein.“
Auch auf die Frage, was mit den alten Kreuzen geschieht, hat das Projektteam passende Antworten gefunden: „Einige haben wir den Schwestern zurückgegeben, andere haben bei der Volkacher Weihnachtsstraße einen neuen Besitzer gefunden.“ Für die noch übrigen Kreuze ist das Team auf der Suche nach einem Kreuzfriedhof, wo das Ausgangsmaterial Holz wieder in den natürlichen Kreislauf zurückgeführt wird.
Anja Legge