„Vielleicht“ – was für ein federleichtes Wörtchen voller Nuancen, Ahnungen und Zwischentönen. Locker schwebend statt endgültig auf dem harten Boden der Tatsachen festgetackert, schlägt dieses orthographisch etwas tückische Wortgebilde eine Brücke zwischen dem Bekannten und dem Unbekannten, zwischen Tatsache und Möglichkeit, zwischen Heute und Morgen. Und gerade diese in jedem Buchstaben mitschwingende Unsicherheit, die wir mal als drohendes Fragezeichen, mal als hoffnungsvolle Möglichkeit empfinden, verleiht dem Wort „vielleicht“ eine ungeheure Kraft.
Als modales Satzadverb bezeichnen Sprachwissenschaftler die Vokabel, die in anderen europäischen Sprachen als „maybe“ (englisch), „quizás“ (spanisch), „peut-être“ (französisch), „forse“ (italienisch) oder „misschien“ (niederländisch) daherkommt. Im „Mittelhochdeutschen Wörterbuch“ noch „vil līhte“ (sehr leicht) geschrieben, versah es schon damals eine Äußerung mit dem Label „möglicherweise“ oder „wahrscheinlich“.
Im Unterschied zu Wissenschaft und Forschung, in denen das Wort „vielleicht“ verpönt ist, erkennt ein „vielleicht“ im normalen Leben die Unvorhersehbarkeit der Dinge an. In einer Gesellschaft, die sich so schnell wie keine andere zuvor verändert, können wir nicht alles wissen, voraussehen und schon gar nicht kontrollieren. Mit „vielleicht“ deuten wir an, dass es da noch mehr gibt als „Ja, sicher“ und „Nein, auf keinen Fall“. Es ist gewissermaßen der silbrig schillernde Grauton zwischen den Extremen Schwarz und Weiß. Denn: absolute Gewissheit ist unerreichbar, selbst vermeintlich in Stein gemeißelte Überzeugungen unterliegen einer gewissen Unsicherheit. Zugegeben: Das kann richtig Angst machen – und tut es auch häufig. Ist aber nicht zu ändern.
In Afrika ist das kleine Wörtchen ein häufig genutztes Werkzeug, um mit dieser Unsicherheit des Lebens umzugehen. „Mit „labda“ drückt ein Tansanier aus, dass er beispielsweise noch nicht weiß, ob er zum vereinbarten Termin kommen wird oder nicht“, berichtet Abt Christian Temu aus Ndanda. Während hierzulande ganze Wochen streng durchgetaktet sind, sei in manchen Gegenden Tansanias eben der ganze Tag ein großes Vielleicht: Kommt der Bus an diesem Tag tatsächlich? Und wenn ja, wann? Wird er die ganze Strecke bis zum Ziel zurücklegen oder ist die Straße nach einem Unwetter unpassierbar? „Shauri la mungu“ (Gott hat gesprochen) hat auch Bruder Pascal Herold in solchen Situationen immer wieder gehört; damit mache der Tansanier deutlich, was der rein auf Wissen und Tatkraft fixierte Europäer zu vergessen scheint: „Manche Dinge muss man einfach Gott überlassen. Und der ist und bleibt eben unverfügbar.“
Ganz anders ist das mit dem „Vielleicht“, das nicht auf die unabänderliche Unsicherheit des Lebens anspielt, sondern die eigene Wankelmütigkeit oder Feigheit kaschieren will. Statt sich mit einem Ja oder Nein festzulegen, kann man die Dinge ja auch mit einem verbindlichen „Jaja, ich überlege es mir mal“ offenhalten – und das gilt für uns alle, die wir unser Gegenüber bei einer Frage etwa nach einem erneuten Treffen mit einem vagen „vielleicht“ abspeisen. Ein solch zwar höflich gewollter, aber in Wirklichkeit feiger Relativismus kann tief verletzen, weiß der andere doch ganz genau, dass es niemals dazu kommen wird. Manchmal braucht es eben doch klare Worte, um Missverständnisse zu vermeiden oder ein Problem zu lösen, statt es immer wieder auf die lange Bank zu schieben.
Für Menschen aus dem asiatischen Raum sind klare Worte dagegen zuweilen etwas schwierig. Ein „Ja“ bedeutet für Koreaner und Chinesen, dass sie zuhören und verstanden haben. Mehr nicht. Ein glattes „Nein“ bringen sie dagegen nur schwer über die Lippen, sagt Pater Placidus Berger, der selbst lange in Südkorea gelebt hat. Weil eine Ablehnung für das Gegenüber unangenehm oder enttäuschend sein könnte, antworten sie lieber mit einer Gegenfrage, verwinden sich zu einem „Wir werden uns bemühen“ oder sagen ganz einfach „amado“ (koranisch) oder „yěxǔ“ (chinesisch). Dass dieses leichtfertig mit „vielleicht“ übersetzte Wort nichts anderes als ein höflich verpacktes „Nein“ ist, müssen Reisende aus Europa wissen – sonst sind Enttäuschungen vorprogrammiert.
Den Zauber des Wörtchens „vielleicht“ sollten wir uns durch solcherlei kulturelle Windungen nicht nehmen lassen – eröffnet es doch einen blitzeblauen Raum mit unendlich vielen Möglichkeiten, Chancen und Träumen. Wer der Zukunft, einem anderen Menschen oder sich selbst mit einem „vielleicht“ die Eigenschaft des Möglichen zuspricht, lässt sich nicht von der Schwere unverrückbarer Tatsachen niederdrücken, sondern glaubt an die Chance zur Veränderung. Nicht nur in Momenten der Unsicherheit oder des Zweifels kann das einen Silberstreif am Horizont aufzeigen, Hoffnung spenden.
Der sonst gerne als knurrig verschrieene Franke hat für solche Fälle eine ganz eigene Vokabel im Portfolio, gibt dann noch Bruder Abraham Sauer zu bedenken. Mit „am End“ führe auch er selbst zuweilen seine Überlegungen nach allem bedächtigen Hin- und Herwenden in einen anderen Bewusstseinsraum: „Am Ende ist es doch ganz anders, als wir uns das in unserer begrenzten menschlichen Gedankenwelt vorstellen.“ Damit wird das unscheinbare Modaladverb unversehens zu etwas ganz Großem – nämlich einem Symbol für die unvorstellbare Fülle menschlichen Lebens, das voller Überraschungen steckt. Und genau das verleiht Freiheit. Vielleicht spüren Sie es schon…?
Anja Legge
Bild von Christine Sponchia auf Pixabay