Gemeinsam auf der Suche nach dem Leben und Gott

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Gemeinsam auf der Suche nach dem Leben und Gott

Regelmäßig laden Rainer Oberthür und das Duo „Carolin No“ zu Konzert-Lesungen ein. Unter dem Titel „Was glaubst Du? Lieder und Briefe zwischen Himmel und Erde“ bringen der bekannte Religionspädagoge und das renommierte Würzburger Singer-Songwriter-Duo die großen Fragen des Lebens und Glaubens zur Sprache. Und die stellen sich Kinder und Jugendliche ebenso wie Erwachsene.

Wie kommen ein Songwriter-Duo und ein Religionspädagoge zusammen?
Es begann mit einer CD von Carolin und Andreas Obieglo, die mein Bruder unserer Tochter schenkte. Meine Tochter war davon sehr angetan und ich noch viel mehr. Ich habe dann eine mutige Mail an Caro und Andi geschrieben und gefragt, ob ich sie zu einem Konzert nach Aachen einladen kann. Ein dreiviertel Jahr später haben die beiden gleich zwei Mal vor ausverkaufter Bude gespielt und daraus entstand eine Zusammenarbeit, die bis heute währt. Von Anfang an begeistert mich an ihren Liedern, dass sie nicht direkt religiös, aber oft religiös grundiert sind.

Wie ist daraus das „Was glaubst Du?“-Projekt entstanden?
Wir waren uns rasch einig, dass wir ein gemeinsames Anliegen haben. Unser Projekt sollte sich um die großen Fragen der Menschheit und des Glaubens drehen. In einem intensiven Prozess habe ich um bereits bestehende Lieder 20 fiktive Fragenbriefe geschrieben, die auf echten Kinderfragen basieren und sich im Grunde an „alle im Haus“ richten. Gemeinsam haben wir überlegt und gefeilt, wie Worte und Klänge einander begegnen. Mir war wichtig, dass ich die Lieder nicht vereinnahme, sondern Text und Musik gleichwertig sind – in der Schwebe und sich gegenseitig bespiegelnd. Direkt nach Veröffentlichung des Buches im Herbst 2017 haben wir dann ein Liveprogramm gestartet, für das die Texte stark verdichtet wurden. Der große Unterschied zu Wort-trifft-Musik-Veranstaltungen ist, dass durch die Musik keine Zäsuren entstehen, sondern das eine aus dem anderen hervorgeht.

Um welche „großen Fragen der Menschheit“ geht es denn bei den Konzert-Lesungen?
Im Grunde sind es die Klassiker: Woher kommen wir? Wo gehen wir hin? Was ist der Sinn? Was kommt nach dem Tod? Dabei schwingt immer die Frage nach Gott mit, entweder ausdrücklich oder ohne Nennung Gottes. Denn auch Menschen, die nicht an die Existenz Gottes glauben, stellen diese Fragen, und das schon von Kindesbeinen an.

In welchem Alter beginnt das ?
Mein beruflicher Hauptbezugspunkt ist die Grundschulzeit, in der Kinder sehr intensiv fragen. Aber in Wirklichkeit beginnt das Fragen viel früher, nämlich sobald wir auf die Welt kommen – ohne Worte, durch Gesten und Blicke. Ein jüdisches Sprichwort drückt das sehr schön aus: „Am Anfang schuf Gott das Fragezeichen und legte es in das Menschenherz hinein.“

Wie geht man als Elternteil, Pate, Erzieherin oder Lehrer damit um?
Zunächst einmal ist es wichtig, die Frage als solche anzuerkennen und wertzuschätzen. Und dann gemeinsam nach Antworten suchen. Dabei haben wir als Erwachsene ein ganz anderes Wissen; das bedeutet aber nicht, dass wir fertige Antworten geben. Es geht darum, sich gemeinsam auf die Suche zu machen und Antworten anzubieten, die zum Weiterfragen verleiten. Denn erst das Weiterfragen macht eine wirklich große Frage aus.

Wie ist nun mit dem Ursprung der Welt oder dem Bösen?
Abschließend beantworten können wir das nie, aber junge Menschen haben das Recht, dass wir Antworten anbieten – auch wenn es beim Stammeln und Suchen bleibt. Auf die Frage nach dem Bösen können wir zum Beispiel sagen, dass das der Preis der Freiheit ist. Kinder können mit dieser Dialektik – dass wir nur gut sein können, weil wir auch böse sein können – sehr gut umgehen.

Und wenn wir selbst sprachlos sind?
Dann müssen wir das aushalten. Auch keine Antwort zu haben, ist ja eine Antwort. An der Aussage von Peter Bichsel „Kinder leben in Fragen, Erwachsene leben in Antworten“ ist viel Wahres dran. Manche Kinderfragen enthalten sogar schon die Antwort wie die eines Neunjährigen: „Wenn ich sterbe, werde ich dann aus dem gezogen, der ich bin?“ Er meint damit wohl: Ich werde verwandelt und bleibe doch ich.

Welche Rolle spielt die Musik in diesem Fragen-Projekt?
Sie ist unverzichtbarer Teil des Ganzen. Die Konzertlesung beginnt zum Beispiel mit: „Warum stelle ich eigentlich Fragen?“ Ich antworte darauf, dass das Fragen zum Menschsein gehört, spreche über dieses Mehr im Leben, das wir Gott nennen, bringe zur Sprache, dass wir im Alltag oft vom Fragen abgelenkt werden. All das geht dann über in das Lied „Ehrlich gesagt“, in der ein Mensch berichtet, dass er sich schon lange nicht mehr gefragt hat, wie es ihm eigentlich geht und merkt, dass das Leben so keinen Sinn ergibt. Genau diese Übergänge machen das Projekt spannend.

Was sollen die Zuhörerenden am Ende mitnehmen?
Sie dürfen sich vor allem erstmal in der Gegenwart des Erlebens anrühren und mitnehmen lassen. Jeder und jede hört unsere Lieder und Texte ja mit der eigenen Perspektive, nimmt sie mit hinein in die eigene Lebenssituation. Wir bieten dafür einen Resonanzraum. Unser Wunsch ist aber auch, Botschaften der Hoffnung mitzugeben. Das Lied „November“ etwa ist eigentlich ein Hoffnungslied, denn auch der längste November endet mit einem Frühlingsbeginn. Damit stillen wir religiöse Sehnsüchte des Menschen im Gewand der Kultur.

Eignen sich Buch und CD auch für den Religionsunterricht?
Vieles ist in Auszügen schon ab der Grundschule einsetzbar. Lieder wie zum Beispiel „Hände“ passen an vielen Stellen. Gerade für ältere Kinder und Jugendliche bietet die Hörbuch-CD in ihrer Verdichtung sehr viel an. Der bewusst höhere Anspruch sollen Zumutung und Zutrauen zugleich sein. Kinder müssen nicht immer alles verstehen, sie spüren aber so, dass sie ernstgenommen werden und wachsen in etwas Größeres hinein.

Anja Legge

Foto: Anja Röhrig