Der inneren Stimme trauen

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Der inneren Stimme trauen

Lebenswege sind vielgestaltig. Sie können in die ein oder andere Richtung führen. Und immer wieder müssen wir uns dabei für das Eine und gegen das Andere entscheiden – ohne vorher zu wissen, ob die getroffene Wahl am Ende richtig war und wohin sie führt. Dass solche Wegentscheidungen nicht immer einfach sind, weiß Pater Pascal Herold aus vielen seelsorglichen Gesprächen. Seit 15 Jahren bietet er deshalb unter dem Titel „Der Mensch wird des Weges geführt, den er wählt“ einen ganz besonderen Kurs an.

Hatte er anfangs noch vor allem mit Priestern und Ordensleuten als Teilnehmern gerechnet, stellte der Prior der Abtei Münsterschwarzach rasch fest, dass sein Exerzitienangebot Menschen aller Berufsfelder und von verschiedenster Religiosität anzieht – „sogar solche ohne erklärten Gottesbezug“. Der Grund liege vermutlich darin, dass sich viele Menschen angesichts schier unbegrenzter Möglichkeiten mit Entscheidungen schwertun. Dahinter stehe oft die Angst, etwas falsch zu machen, so Pater Pascal. Dennoch rät er dazu, Wege bewusst einzuschlagen, denn: „Entscheidungslosigkeit führt zu Stillstand.“

Erstes Etappenziel für die Teilnehmer des Exerzitienkurses ist es, sich aus dem Alltag herauszunehmen und zur Ruhe zu kommen. Für die Dauer von fünf Tagen werden deshalb die Handys ausgeschaltet und alle Kontakte nach außen gekappt. „Der Mensch wird so ganz auf sich selbst verwiesen und kann in Kontakt mit dem eigenen Inneren kommen“, erklärt Pater Pascal. Viele Menschen kennen dieses Gefühl gar nicht mehr, aber „nur wenn ich die äußeren Stimmen für eine Zeitlang zum Schweigen bringe, kann ich meine innere Stimme auch wahrnehmen“, sagt er. In dieser selbstverordneten Stille werden rasch Gedanken, Erfahrungen und Emotionen wach, die im normalen Alltag untergehen. Mit ausgewählten Textimpulsen legt Pater Pascal weitere Spuren, an die man selbst vielleicht gar nicht gedacht hätte. Wegweisend ist dabei das titelgebende Schriftwort aus dem jüdischen Talmud. „Es sagt dem Menschen zu, zu allen Zeiten geleitet und geführt zu werden“, erklärt Pater Pascal, „und diese Zusage ist befreiend und entlastend“.

Neben Rückzug, persönlichen Begleitgesprächen und Teilnahme an der klösterlichen Liturgie gehört auch das „Geführte Zeichnen“ von Dr. Maria Hippius Gräfin Dürckheim zu den zentralen Kurs-Elementen. Dabei zeichnen die Teilnehmer zu kurzen Impulstexten aus der Hl. Schrift mit geschlossenen Augen und beidhändig mit Kohle auf einen großen Bogen weißen Papiers. „Im Wiederholen bestimmter Urformen wie Linie, Kreis oder Spirale werden Gefühle und Erfahrungen aktiviert und an die Oberfläche gebracht“, berichtet Pater Pascal: „Der Zeichnende nimmt Fühlung mit dem eigenen Grund auf und kann neue Perspektiven entwickeln.“

Der Blick auf das Unbewusste, das Hören auf die innere Stimme und das Erspüren des eigenen Bauchgefühls seien meist die besten Ratgeber in wichtigen Entscheidungen des Lebens, berichtet Pater Pascal weiter. Wichtig sei es, zur Ruhe zu kommen und nachzuspüren, wie sich der ein oder der andere Weg anfühlen: „Empfinde ich Schwere, Angst, Unbehagen oder eher Neugier, Lust und Leichtigkeit?“ Ist eine Entscheidung gefällt, solle man diese ruhen lassen. „Nur so können Freiheit und Beweglichkeit aufkommen.“ Selbst dann, wenn sich der eingeschlagene Weg später als falsch erweise, sei das ist kein Beinbruch, versichert Pater Pascal. „Umkehren gehört dazu und darf sein. Alles ist Leben. Und Leben als Lebenszeit kann Unterschiedliches und auch Gegensätzliches enthalten.“

Der Prozess, den die Teilnehmer in den fünf Exerzitentagen durchlaufen, ist auch für Pater Pascal immer wieder erstaunlich: „Die Menschen kommen unruhig, nervös, strapaziert und gehen zufrieden und gelassen nach Hause“, berichtet er. Selbst diejenigen, die sich mit der Stille schwertun, erleben, wie befreiend es ist, das Äußere zu lassen und sich selbst zu begegnen. Auch Gott spielt – manchmal ganz unerwartet – in diesem Prozess eine Rolle. Wie Zachäus aus der Ferne von einem Baum nach Jesus schaut und dann plötzlich persönlich angesprochen und herausgefordert wird, so tue es auch dem modernen Menschen gut, Dinge einfach mal geschehen zu lassen und sich anzusprechen zu lassen. „Wer sich selbst und seinen Kontext von innen heraus wahrnimmt und das Leben ohne Perfektionismus und Leistungsdruck an sich heranlässt, kann oft nur staunen“, verspricht Pater Pascal. „Genau das ist es nämlich, was Gott vom Menschen will und genau darin kann Gott dem Menschen aufscheinen.“

Anja Legge