Alt-Würzburg hautnah erleben

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Alt-Würzburg hautnah erleben

Erschütternd deutlich zeigt das Stadtmodell im Grafeneckart das Ausmaß der Zerstörung Würzburgs nach der Bombardierung am 16. März 1945. Doch wie sah die Stadt am Main eigentlich vorher aus? Eine lebendige Antwort auf diese Frage gibt FH-Absolvent Robert Schmidt mit seiner Bachelorarbeit „Historische Domstraße“. Mit der von ihm im Studiengang Geovisualisierung erstellten VR-Anwendung kann man einen Spaziergang durch die Domstraße um 1930 unternehmen und erstaunlich lebensecht in eine vergangene Zeit eintauchen.

Das Thema für die Arbeit im Studiengang „Geovisualisierung“ an Hochschule Würzburg-Schweinfurt (FHWS) hat Dozent Stefan Sauer gestellt. Der gebürtige Würzburger weiß um die Folgen der Katastrophe, was ihm aber bisher fehlt, ist eine Darstellung der Stadt vor dem Bombenangriff. Der Auftrag lautete deshalb, die historische Domstraße mit Hilfe moderner 3D-Technologien möglichst realistisch wieder auferstehen zu lassen. Robert Schmidt hat die Herausforderung angenommen und sich zunächst einen Überblick über die Quellen verschafft. Bewusst hat sich der 23-Jährige dann für eine Umsetzung in Virtual Reality entschieden, weil diese Technologie „das Eintauchen in eine virtuelle Welt mit nahezu allen Sinnen ermöglicht“.

Wichtigste Grundlage war die „Würzburger Chronik vom denkwürdigen Jahre 1945“ von Hans Oppelt mit zwei detailreichen Panoramen der Domstraße vor der Katastrophe. Hinzu kamen Bücher, Pläne, Internetquellen sowie über 100 Fotos aus dem Archiv des Verschönerungsvereins. Aus diesen Puzzleteilen entwickelte Schmidt eine Vorstellung, die er dann am PC nachmodelliert und in eine Game Engine überführt hat. Was einfach klingt, war ein Riesenstück Arbeit: Denn Schmidt hat nicht nur architektonische Elemente wie Fassaden und Torbögen nachgebaut, sondern eine Vielzahl zusätzlicher Details wie Bordsteinkanten, Pflasterstrukturen, Laternen und sogar die Straßenbahn hinzugenommen. Für eine lebendige Atmosphäre sorgen vorüberziehende Wolken, rauchende Kamine, ein sprudelnder Vierröhrenbrunnen, das Glockengeläut des Domes und flanierende Passanten. Schließlich kann der Nutzer mit einem Klick in den Nachtmodus schalten, Schnee fallen lassen und eine Runde Straßenbahn fahren. Um auch einen Zugang ohne VR-Brille zu ermöglichen, hat Schmidt eine zusätzliche PC-Anwendung entwickelt.

Den enormen Aufwand von rund 400 Stunden haben Professor Dr.-Ing. Daniela Wenzel und Stefan Sauer mit der Note 1,0 belohnt. „Herr Schmidt hat deutlich mehr investiert als viele andere, er war für alle Ideen offen und hat selbst Spinnereien umgesetzt“, begründet die Dekanin der Fakultät „Kunststofftechnik und Vermessung“. Und Stefan Sauer fügt hinzu: „Man merkt, dass da viel Herzblut drinsteckt. Im Ergebnis geht man einfach gerne spazieren.“

Eine erstaunliche Erkenntnis war für Robert Schmidt, dass die heutige Domstraße immer noch große Ähnlichkeit mit der Vorkriegsansicht hat. Manche Geschäfte wie das Modehaus Schlier oder Bernhard Kupsch haben sogar die Zeiten überdauert. Selbst für Stefan Sauer gibt es noch Überraschungen: Wussten Sie zum Beispiel, dass an der Langgasse einst ein Lichtspielhaus stand und die Straßenbahnschienen in der Domstraße früher einen Schlenker gemacht haben?

Dass die Schönheit der alten Stadtarchitektur nicht in Vergessenheit gerät, ist denn auch eines der Anliegen hinter dem Projekt. Die Mischung aus Kontinuität und Neubauten ist für Daniela Wenzel „nicht nur Zeugnis der Katastrophe, sondern zeigt auch, wie das Leben weitergeht.“ Statt nur den mahnenden Zeigefinger zu erheben, gehe es vielmehr um ein „positives Erinnern“, wirbt die Dekanin. Aus diesem Grund will sie das Domstraßen-Projekt demnächst im Paket mit gerade noch entstehenden Anwendungen dem Kultur- und Tourismusreferat der Stadt Würzburg vorstellen. „Eine tolle Sache wäre zum Beispiel ein Infopunkt mit VR-Station in der Fußgängerzone“, so Wenzel. Robert Schmidt indes hat die Bachelor-Arbeit bestärkt, seinen Weg weiterzugehen und die an der Hochschule erlernten Technologien in einem der vielen sich eröffnenden Berufsfelder einzusetzen.